Kommentar zur „Enteichung“ in Rostock-Lichtenhagen
Die sogenannte „Friedenseiche“ in Rostock-Lichtenhagen zu fällen war nicht die beste Option und strategisch keine Glanzleistung, vielleicht sogar kontraproduktiv. Wenn der Baum nur ein Baum ist, dann ist es ökologisch schade und leider nicht umkehrbar, aber man könnte einen neuen Baum pflanzen, vielleicht diesmal ohne Symbolik. Die öffentliche Debatte nimmt allerdings eine erstaunliche Wende, wodurch genau die kritisierten Punkte wieder zu Tage treten. Der Umgang mit der politischen Aktion – ob nun gelungen oder nicht – zeigt zu kritisierende Zustände und Strukturen in der Erinnerungskultur und den Mangel an Aufarbeitung und Selbstreflektion.
Der Aufschrei ist groß, das Medienecho entsprechend, in den Kommentarspalten der größeren Blätter ist man sich schnell einig. Was man da doch alles lesen kann… Patrick Gensing hat bei publikative.org ein paar Stilblüten gesammelt. Zumindest diesmal sind die Rollen klar verteilt: Hier die Täter – das sind die „rotgefärbten Faschisten“, „die Linken, die noch dümmer als die Rechten sind“, also die „AG Antifaschistischer Fuchsschwanz“ und inkludiert alle, die sich mit dem reduzierten und verharmlosenden „Gedenken“ in Rostock nicht zufrieden geben wollten. Dort das Opfer – der schutzlose Baum, die deutsche Eiche, der niemandem etwas getan hat, der nur stand und schön war – hat eigentlich jemand den Baum vorher gefragt, ob er dort hin möchte um sich politisch als „Friedenseiche“ instrumentalisieren zu lassen? Damit sind diese Rollen schon einmal eindeutiger verteilt, als bei diesem anderen Vorfall, vor 20 Jahren in Rostock. In der FAZ konnte man erst wieder lernen, dass die Opfer damals ja eher die Täter waren und dann durch die notwendigen und unausweichlichen rassistischen Pogrome die Vernunft einziehen konnte, schließlich war „das Boot voll“. Matthias Ecke hat das ziemlich treffend kommentiert.
Strategisch war die „Enteichung“ sicherlich nicht klug, aber wenn ich diese Kriterien an die Baumpflanzung anlege, zu welchem Schluss komme ich dann?
Strategisch war es nicht klug eine Eiche zu pflanzen, da diese in ihrer Symbolik der Flora eben doch für Zeiten und Werte steht, die an dieser Stelle nicht angebracht sind. Inhaltlich ist es jedoch eine absolute Katastrophe! Symbolpolitik der übelsten Sorte. Wo war eigentlich die Sambagruppe? Das merkte sogar Anja Reschke in ihrem Kommentar in den Tagesthemen am 26.08.2012 kritisch an: Gedenkveranstaltung mit viel Tamtam, das beherrscht man hier offensichtlich. Das konnten wir beim Gedenken in Berlin für die NSU-Opfer miterleben (das wäre selbst einen Kommentar wert gewesen) und jetzt beim staatstragenden Gedenken mit Kinderchor und bunten Luftballons. Aufarbeitung, kritische Reflektion der Zustände und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Rassismus und Faschismus, das findet bisher nur rudimentär statt. Genau hierfür steht diese Eiche symbolisch. Für ein reduziertes Gedenken, für eine oberflächliche Auseinandersetzung, für eine emotionale Betroffenheit, die in der Praxis sofort wieder an Grenzen stößt. Die Zerstörung dieses Symbols greift genau diese Zustände an. Deshalb ist der Aufschrei auch so groß, da die Personen, die in diesem Baum die „Friedenseiche“ sehen wollten und ihr Gedenken auf derlei Symbolik fokussieren, sich persönlich angegriffen fühlen.
Hierin spiegelt sich auch eine der zentralen Konfliktlinien in zivilgesellschaftlichen Bündnissen wider. Wie ist der eigene Anspruch, wie weit ist man bereit inhaltliche Kompromisse einzugehen um ein möglichst breites Bündnis zu erreichen? Wie fordernd bin ich bei der inhaltlichen Ausrichtung an meine Bündnispartner? Genau an dieser Stelle ist die Fällung dieses Baums auch strategisch falsch, denn es ist eine Holzhammer-Methode und schreckt viele Menschen ab, die unter anderen Umständen für die Argumente vielleicht zugänglicher wären. Doch darf die Kompromissbereitschaft eben auch nicht so weit führen, dass die Kritik reduziert wird, dass nicht mehr die Zustände umfassend in Frage gestellt werden, sondern dass man sich in selbstgerechter Zufriedenheit im Schatten einer großen Eiche vom bunten Straßenfest mit Sambagruppe, Kinderchor und „multikultureller“ Fressmeile erholt.
An diesem Punkt muss ganz entschieden auf die historischen Fakten verwiesen werden, damit die politischen Konsequenzen daraus gezogen werden können: http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/20_jahre_rostock_lichtenhagen_ein_akt_politischer_brandstiftung/
Die Konsequenz der rassistischen Pogrome war die faktische Abschaffung des Asylrechts. Hier gilt es anzusetzen! Menschen die Schutz und Hilfe suchen sollen willkommen sein, das Asylrecht muss wieder auf ein menschenwürdiges Level gehoben werden. Das bezieht sich sowohl auf die bundesdeutsche, als auch die europäische Gesetzgebung und die konkrete Ausführung in der Praxis! Weg mit dem Arbeitsverbot und dem Ausbildungsverbot! Weg mit den Lagerunterkünften! Weg mit der Isolation von geflüchteten Menschen! Weg mit den Essens- und Hygienepaketen! Weg mit der Residenzpflicht! Weg mit DublinII und der Drittstaatenregelung! Weg mit rassistischen Strukturen in Behörden und Verwaltung! Für ein echtes Bleiberecht für alle Flüchtlinge und MigrantInnen! Rassismus beim Namen nennen! Faschismus konsequent bekämpfen!
„Wie geht es denn dem Rechtsextremismus in Deutschland, 20 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen? – Es geht ihm gut.“ (Anja Reschke, NDR) Wer aus Rostock-Lichtenhagen, den über 180 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990, der Mordserie des NSU etwas lernen will, der fängt heute bei der Asylgesetzgebung an und beginnt Rassismus beim Namen zu nennen und ihn konsequent aufzuarbeiten. Oder man pflanzt einen Baum… dann sollte man wenigstens so konsequent sein und vor jede ZASt oder jede GU und jeden Abschiebeknast eine Eiche zu stellen. Dann gäbe es wenigstens ausreichend Brennholz in Kaltland.
Marius Köstner