Von Sophia Waldmann und Munib Agha
Finanzkrise, Eurokrise, scheinbare Flüchtlingskrise. Viele Krisen haben wir allein in den letzten 12 Jahren erlebt. Die seit spätestens den 80er Jahren schwelende Klimakrise rückte 2018 endlich (wieder) breiten Teilen der Gesellschaft ins Bewusstsein. Aktuelle Klimastudien legen nahe, dass die in früheren Studien skizzierten Worst-Case-Szenarien noch viel zu optimistisch waren und noch stärkerer Handlungsbedarf besteht als bisher angenommen.
Es hat nun aber den Anschein, dass die COVID-19-Pandemie, die folgenreichste Pandemie seit der Spanischen Grippe, dafür sorgt, dass Klimathemen wieder Mal stärker in den Hintergrund geraten. Nicht wenige Klimabewegte äußern die Befürchtung, dass die Coronakrise gegen die Klimakrise ausgespielt werden könnte. Denn in der Pandemie hätte die Politik alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Ausbreiten der Pandemie zu stoppen, wohingegen in Sachen Erreichbarkeit der Pariser Klimakrise die Politik tatenlos bleibe.
Pfleger:innen, Verkäufer:innen, Reinigungskräfte, junge Familien mit kleinen Kindern, die auf beengten Raum die Ausgangsbeschränkungen durchstehen mussten und Sozialleistungsbezieher:innen würden sicherlich zu einer anderen Bewertung der Coronakrisenpolitik kommen. Davon abgesehen ist es aber nicht von der Hand zu weisen, dass ein rasant ansteckendes Virus eine vorrangige Akutheit hat.
Wenn Teile der Klimabewegung aus ihrer Analyse schlussfolgern, dass Klima- und Coronakrise nichts miteinander zu tun hätten, beginge sie einen kardinalen Fehler. Denn so wenig die Klimakrise eine Krise des Klimas ist, so wenig ist die Coronakrise eine Krise des Coronaviruses. Bei beiden handelt es sich (sogar offensichtlicher als bei der Finanz- und Eurokrise) um Gesellschaftskrisen.
Gesellschaftliche Zustände sind nicht naturgegeben.
All diese Krisen werden in der öffentlichen Debatte selten als solche thematisiert. Das ist kein Wunder. Denn es scheint Konsens zu sein, dass die Art und Weise wie unsere Gesellschaft funktioniert und erst recht unsere Art und Weise des Wirtschaftens naturgegeben sei. Doch gerade die Bedingungen der Coronakrise decken auf, dass dem nicht so ist. Zu wenig und zu schlecht bezahlte Pflegekräfte, schlechte Arbeitsbedingungen der Verkäufer:innen, zu wenige Lehrer:innen und zu viele marode Schulen mit zu kleinen Klassenzimmern. Personalmangel in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und Gesundheitsämter, die immer noch aufs Telefax setzen müssen. Lieferengpässe aufgrund zu langer Lieferketten. Mütter, die durch die gesellschaftlichen Verhältnisse stärker denn je dazu gezwungen werden einen größeren Anteil als sonst an der unbezahlten Haus-, Erziehungs-, und Pflegearbeit zu übernehmen. Diese Zustände resultieren nicht aus Naturgesetzen, sondern aus dem Handeln von Politik und Gesellschaft, die der kapitalistischen Produktionsweise einen höheren Stellenwert zumisst. So erklärt es sich auch, dass Fabriken offen bleiben, die industrielle Fleischproduktion nicht angehalten wird, rumänische und bulgarische Erntehelfer:innen für deutschen Spargel eingeflogen werden, aber bis heute kein Konzept vorliegt, wie Kitas und Schulen ansteckungsfrei betrieben werden können.
Nicht anders verhält es sich bei der Klimakrise. Eine Transformation (geschweige denn eine Konversion) der Automobilindustrie wird so weit wie möglich verzögert. Internationale Handelsabkommen, die nachweislich zu Lasten der natürlichen Ressourcen der Entwicklungsländer gehen, werden als alternativlos dargestellt. Nur ein Kohleausstieg im Jahr 2038 sei sozial verträglich möglich. Jedes ambitioniertere Szenario würde betroffene Regionen unausweichlich in Strukturkrisen und in noch höhere Arbeitslosigkeit stürzen. Diese Annahmen geschehen nicht willkürlich. Sie resultieren aus der Annahme, dass unsere Produktionsweise naturgegeben sei. Dabei ist diese genauso wie unsere Gesellschaft durch Menschen Hand geformt. Das Bewusstsein für diesen Tatsache ist kaum mehr vorhanden und wird dementsprechend gar nicht diskutiert.
Wir wollen versuchen dieses Bewusstsein wieder in den Vordergrund zu bringen und sehen die Debatte über die sozialökologische Transformation dafür als zentral an. Im Mai erarbeiteten die Jusos Erlangen im Sinne einer sozialökologischen Transformation einen Gegenvorschlag zum Konjunkturpaket der Bundesregierung. Im Oktobermonatsspiegel stellten wir diese vor. Nachlesen kann man sie unter https://www.jusos-erlangen.de/beschlusse/thesenpapier-new-green-deal/.
Doch solch ein Konjunkturpaket kann bestenfalls nur der erste Schritt sein. Viele allgemeinere und konkretere Fragen müssen erörtert und beantwortet werden, um grundlegende Konzepte im Sinne einer sozialökologischen Transformation formulieren zu können. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wie sieht für uns eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft aus? Was für Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit alle Menschen weitestgehend einen gleichberechtigten Zugang zu den für ein erfülltes Leben notwendigen materiellen und sozialen Ressourcen zu erhalten? Was gehört für uns zur öffentlichen Daseinsvorsorge und sollten Regeln des Marktes in diesen Bereichen überhaupt eine Rolle spielen? Welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen, damit unbezahlte Care-Arbeit gerecht auf Männer und Frauen aufgeteilt werden? Welche Positionierung nehmen wir Sozialdemokrat:innen in der Wachstumsdebatte ein? Diese und viele andere Fragen wollen wir nicht allein mit den Jusos, sondern mit der Partei diskutieren. Wir gründen deswegen im Januar den SPD-Arbeitskreis Sozialökologische Transformation, der die Plattform für diese Debatten sein soll. Im kommenden Monatsspiegel werden wir euch den Termin ankündigen, der Stand heute wohl digital stattfinden muss.